Das Große und das Kleine Zittauer Fastentuch
Das Große und das Kleine Zittauer Fastentuch
Erste Berichte über Fastentücher, mit denen während der Passionszeit der Altar verdeckt wurde, gab es in Westeuropa um das Jahr 1000. Im Mittelalter entwickelten sie sich zu Schmucktüchern, auf denen mit verschiedenen Techniken biblische Szenen, vor allem im Zusammenhang mit dem Leiden und Sterben Christi, dargestellt wurden. Die Verwendung solcher Tücher ging mit der Reformation im 16. Jahrhundert zurück. Zittau ist mit zwei erhalten gebliebenen Fastentüchern europaweit von Bedeutung.
Das Große Zittauer Fastentuch mit einer Fläche von 8,2 x 6,8 m ist das größte erhaltene Leinentuch dieser Art in Deutschland und das drittgrößte in Europa (bzw. in der Welt). Seine Anfertigung gab 1472 der Zittauer Gewürz- und Getreidehändler Jacob Gürtler in Auftrag. Auf einer Fläche von 56 Quadratmetern sind mit Temperafarben in 10 Reihen 90 Szenen aus dem Alten und Neuen Testament dargestellt. Das Fastentuch war mehr als 200 Jahre in der St.-Johannis-Kirche in Gebrauch, obwohl diese ab der Mitte des 16. Jahrhunderts von Lutheranern genutzt wurde. Sein weiteres Schicksal ist nicht bekannt. Im Jahr 1840 entdeckte es der Zittauer Ratsbibliothekar zusammengerollt in einem Bücherregal. Zwei Jahre später wurde es nach Dresden gebracht und 1876 kehrte es nach Zittau zurück. Bis 1933 wurde es nur siebenmal ausgestellt. Am Ende des Krieges brachte man es nach Oybin, um es vor Kriegsschäden zu bewahren. Dort fanden es Sowjetsoldaten, die es in vier Teile zerschnitten und als Badvorhang benutzten. Später warfen sie es in den Wald, wo es ein Einheimischer beim Holzsammeln fand. Bis 1994 wurde es im Museumsdepot aufbewahrt, denn in der DDR sollte niemand an die „Verdienste“ der sowjetischen Soldaten um das Kulturerbe erinnert werden.
Das Kleine Fastentuch ist 4,3 x 3,5 m groß. Es wurde 1573 in derselben Technik für einen Nebenaltar der Johanniskirche angefertigt. Auf dem Hauptfeld ist die Kreuzigung Christi dargestellt, begleitet von weiteren Szenen aus dem Neuen Testament. Zusammen mit dem Großen Fastentuch war es bis 1672 in Gebrauch. Sein weiteres Schicksal war aber offenbar weniger bewegt: Ab dem 19. Jahrhundert wurde es im Museum ausgestellt.
Beide Fastentücher wurden in den Jahren 1994–95 von der schweizerischen Abegg-Stiftung restauriert, die sich der Wiederherstellung textiler Artefakte aus aller Welt verschrieben hat. Im Jahr 1995 wurden die beiden Fastentücher nach über 300 Jahren in einer Ausstellung in Riggisberg (Schweiz) gemeinsam präsentiert.
Inzwischen werden sie beide in Zittau ausgestellt: das Große Fastentuch in der Kreuzkirche, in der größten Ausstellungsvitrine der Welt, das Kleine Fastentuch nicht weit davon entfernt im ehemaligen Franziskanerkloster.